Dienstag, 2. Juli 2013

LÄCHELN (Betrachtung)

Wie vielen Leuten begegnet man so am Tag. Und doch sticht die ein oder andere Begegnung heraus. Da schenkt Dir eine Person, die dich gar nicht kennt, ein Lächeln im vorbeigehen, und demonstriert, wie einfach es ist, eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. Wir sollten wir alle wieder lernen, auch uns unbekannte Menschen anzulächeln; es würde diese Welt wieder einen Tick schöner für uns machen.

Donnerstag, 16. Mai 2013

WAS FÜR EINE WELT --Wir Menschen--(Betrachtung)

Was ist das für eine Welt, in der wir Pferde benutzen, die teilweise Höchstleistungen für uns vollbringen, und deren Einsatz in der Geschichte schon entscheidenden Anteil an schicksalhaften Entscheidungen hatte; diese Pferde aber schlachten und essen wir, wenn sie alt geworden sind, oder durch Verletzung nicht mehr können? Was ist das für eine Welt, in der wir die Milch der Schafe und Ziegen wie selbstverständlich konsumieren, die uns nährt, und auch deren Wolle, die uns kleidet und wärmt; diese Schafe aber töten, und deren Fleisch verzehren, wenn uns danach ist? Was ist das für eine Welt, in der wir die Kühe, deren Milch uns und unsere Kinder nährt, in Massenställen quälen, und sie töten, schlachten, um sie dann zu verspeisen? Was ist das für eine Welt, in der wir die Jungen der Tiere, deren Milch und Wolle wir konsumieren, töten, obwohl sie erst wenige Wochen zuvor das Licht dieser Welt erblickten? Was ist das für eine Welt, in der wir unsere Möbel mit den Häuten jener Tiere beziehen, deren Milch uns hat wachsen lassen? Was ist das für eine Welt, in der wir Robben-Babys zu zig Tausenden abschlachten lassen, damit wir deren Fell als Statussymbol durch eine Gesellschaft tragen können, die längst die Fähigkeit besitzt, Fell täuschend echt künstlich zu produzieren, und wir die Mütter der Babys ebenfalls massakrieren, weil sie versuchen ihre Jungen zu schützen? Was ist das für eine Welt, in der wir Tiere totprügeln, bevor wir sie schlachten, weil dadurch angeblich ihr Fleisch zarter wird, das wir dann essen? Was ist das für eine Welt, in der wir Tiere zum Vergnügen unserer Spezies in Massenveranstaltungen zu Tode hetzen, quälen, massakrieren, oder sie gegeneinander in Todeskämpfe hetzen? Was ist das für eine Welt, in der wir Hundewelpen kaufen, die wir an unsere Kinder verschenken, um sie dann, wenn sie die nächste Urlaubsreise behindern, irgendwo aussetzen, angebunden an einen Pfahl, oder sie sogar in einen Müllcontainer werfen? Was ist das für eine Welt, in der wir Tiere in Laboren quälen und verstümmeln, für die Entwicklung neuer Kosmetika? Was ist das für eine Welt, in der wir Tiere in Zuchtfarmen züchten, in engen Käfigen, auf blankem Draht, und die wir dann auf bestialische Weise töten, indem wir ihnen bei lebendigem Leibe Gas in den Darm jagen, damit ihr Fell nicht beschädigt wird, aus dem wir dann teure Luxusmodeartikel fabrizieren? Was ist das für eine Welt, in der wir Haifischen bei lebendigem Leibe ihre Flossen abschneiden, die wir als Suppenzutat, oder als Potenzmittel meinen zu brauchen, und sie dann ins Meer zurückwerfen, wo sie elendiglich verenden. Was ist das für eine Welt, in der wir Tieren aus religiösen Gründen bei lebendigem Leibe ihre Kehlen aufschneiden, und sie bei vollem Bewußtsein ausbluten lassen, bevor wir sie zerlegen, um ihr Fleisch zu essen? Was ist das für eine Welt, in der wir aus Scharen von Küken, also Hühnerbabys, die männlichen aussortieren, und diese lebend, wie Müll, in Behällter werfen, die dann auf eine Halde entleert werden, wo sie elendiglich verenden, oder von Ratten getötet werden? Was ist das für eine Welt, in der wir Tiere in engen Transportern hunderte von Kilometern zu Tötungsstätten für Tiere fahren, ohne Wasser, ohne die Möglichkeit sich zu bewegen? ect ect ect Es ist unsere Welt, die Welt in der wir Menschen leben. Es ist jene Welt, in der wir die Brunnen vergiften, aus denen wir trinken, und die Böden, von deren Früchten wir uns nähren. Jene Welt, in der wir Propheten erschlugen, und Leuten die die Wahrheit aussprechen an die Gurgel gehen. Eine Welt, in der wir für Geld und Macht über Leichen gehen. Wo wir Babys in anonyme Abgabeklappen legen, oder sie töten, oder lebend in Müllcontainer werfen. Es ist die Welt, in der wir unsere Eltern beleidigen, attackieren oder töten. Jene Welt, in der wir unsere Kinder verwahrlosen lassen,mißbrauchen, mißhandeln oder töten. Es ist die Welt, in der wir Frauen und Mädchen in die Prostitution zwingen, und sie mißandeln oder töten, wenn sie versuchen zu fliehen. Jene Welt, in der wir Jugendliche und Kinder mit Drogen vollpumpen, nur aus Profit- und Machtgier. Jene Welt, in der wir Personen zusammenschlagen,oft mit Todesfolge, nur weil uns deren Gesicht nicht passt, oder weil wir ein sog. Happyslapping-Video machen wollen. Eine Welt, wo der Bruder, auf Beschluss der Familie, die Schwester tötet, nur weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen will. Jene Welt, wo der Bruder den Bruder erschlägt, der Mensch den Menschen. Eine Welt, wo wir mit Gewalt und überlegener militärischer Macht, anderen Ländern unseren Willen, unsere eigene Vorstellung von staatlicher Ordnung aufzwingen. Jene Welt, in der wir ganze Städte in Schutt und Asche bomben, ganze Familien abschlachten oder Dorfgemeinschaften, ganze Völker auslöschen. Es ist unsere Welt, die Welt der Menschen. Die Möglichkeit, diese Welt zu ändern, liegt bei jedem einzelnen von uns. Wenn jeder einzelne für sich anfängt sein Handeln zu überdenken, und eventuell zu korrigieren, dann besteht die Chance, daß diese Welt sich dereinst zum besseren verändert. Mag ein solcher Gedanke auch noch so gigantisch und aussichtslos erscheinen, so steht doch fest, daß es Wasser war, das den Grand Canyon formte, obwohl es doch absurd erscheint, daß dieses weiche Element Wasser Granit formen können soll. Und doch ist es so. "Steter Tropfen höhlt den Stein", so lautet ein alter aber weiser Spruch. Wenn immer mehr Leute anfangen ihr tun zu überdenken, und sich zu ändern, dann werden mehr und mehr ihrem Beispiel folgen, und es kommt ein Entwicklungsprozess in Gang, der sich irgendwann positiv bermerkbar machen wird. Als einzelner kann man die Welt nicht ändern, aber man kann ein Dominostein sein, der zum Erfolg des Gesamtablaufs beiträgt. DIE MENSCHHEIT KANN AUCH ANDERS!

Donnerstag, 14. Februar 2013

ZUM VALENTINSTAG (Betrachtung)

Durch die Brille der Liebe betrachtet, wird jeder Stein zum Goldstück, jede Regenwolke zu einem prächtigen Segelschiff, jede Pfütze zu einem Schwanenteich, jeder grimmige Blick zu einer Aufforderung zum Lächeln, jeder schlechtgelaunte Zeitgenosse zur Motivation, heiter zu sein, jeder Falke zur Friedenstaube, jede schwarze Katze zum Glücksbringer, jedes Mißgeschick ein Grund zum Lachen; kurz…wird die Welt zum Himmelreich, und das ganze Leben zu einer einzigen Glückseligkeit.

Montag, 11. Februar 2013

EINARS ERKENNTNIS --Warum der Weihnachtsmann nicht nach Schneeland kommt-- (Geschichte)

Hoch im Norden, zwischen Skandinavien und dem Nordpol, da liegt ein kleiner Inselstaat im Atlantik, der von der übrigen Welt vergessen wurde. Dieser Inselstaat ist gerade mal so groß wie Bayern und es herrscht dort fast das ganze Jahr über Winter; der Sommer dort ist nur sehr kurz und nicht so warm wie in Europa. In den Wintermonaten gibt es überdurchschnittlich viel Schneefälle, und weil das so ist, darum gaben die Gründungsväter diesem Inselstaat einst den Namen Schneeland. Das Klima ist rau, aber die Menschen dort haben ein gutherziges und frohes Gemüt. Große Teile Schneelands sind mit dichten Tannenurwäldern bedeckt. Im Sommer kann man auch schon mal den Liegestuhl rausstellen und sich sonnen, während es im Herbst und Winter meist düster und nebelig ist. Ab Ende November gibt es fast täglich schwere Schneestürme, die mal länger anhalten, mal weniger lang. Das Volk von Schneeland, das von Wikingern abstammt, die die Insel einst in Besitz nahmen und besiedelten, führt ein bescheidenes aber glückliches Dasein und seine Wirtschaft ist völlig autark. Ähnlich wie bei den Amish, scheint auch hier die Zeit irgendwann einfach stehengeblieben zu sein. Das ganze Land hat irgendwie Museumscharakter, doch die Menschen hier vermissen den Schnickschnack nicht, dem die Menschen in der übrigen Welt hinterherjagen; es fehlt ihnen nicht, weil sie es nicht kennen. Außerdem sind sie glücklich mit dem was sie haben. Die Schneeländer sind überwiegend Heiden, die sich am Glauben ihrer Wikingerahnen orientieren. Jedoch gibt es auch eine große Christliche Gemeinschaft, die in der Jesuistischen Kirche zusammengefasst ist. Der Jesuismus, der sich streng und ausschließlich an Jesus und dem Neuen Testament orientiert, ist eine rein schneeländische Variante der christlichen Kirchen, und ihr Oberhaupt ist der Hauptevangelienwahrer, während Gemeindepriester einfach Evangelienwahrer genannt werden. Die Heiden und die Christen leben ihre Religionen streng von einander getrennt, aber respektieren und achten die Heiligtümer der jeweils anderen Seite. Vom religiösen Aspekt abgesehen, fühlen sich aber alle Schneeländer durch ihre gemeinsame Herkunft und Geschichte als einheitliches Volk verbunden. So kommt es, dass Christen auch schon mal den Weg zum Tempel oder Ehrenhain von Schnee freiräumen oder Heiden den Weg zur Kirche. Das kleine Dorf Flocken nun, in dem diese Geschichte handelt, liegt hoch im Norden der Insel, in der Provinz Trollund. Es war kurz vor den Weihenächten, wie die Schneeländer die Tage nennen, in denen die Heiden das Julfest und die Christen die Geburt ihres Heilands feiern. Der kleine Einar stapfte mit seinen kleinen Schneeschuhen neben seinem Großvater her und hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten. Obwohl sein Großvater schon 68 Jahre alt war, konnte er es immer noch mit manch Jüngerem aufnehmen, im Schneeschuhlaufen. Seine große kräftige Gestalt beeindruckte Einar genauso, wie die mächtigen Stämme der alten Tannen im Urwald. Und zum Wald waren sie gerade unterwegs, um dort ein kleines Bäumlein zu fällen, das dann als Christbaum –die Heiden nennen ihn Julbaum– geschmückt in ihrem Haus stehen sollte. Es war Sonnabend und der Abend fing schon an zu dämmern, aber zum Wald war es nicht sehr weit. Dieser Winter war so viel kälter, als all die anderen, die Einar schon erlebt hatte. Und auch Schnee gab es diesmal viel mehr; fast täglich schneite es dicke und dickste Flocken, so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Monsterflocken hatte Einar sie benannt und alle in der Familie sprachen nun stets von den Monsterflocken, wenn es wieder dicke Flocken schneite. Der Duft des Tabaks, aus der Pfeife seines Großvaters, vermischte sich in Einars Nase mit der kalten, klaren Winterluft. Als Einar zurückblickte, sah er ihr Dorf dunkel am Horizont sich vom Abendhimmel und der weißen Winterlandschaft abheben. Zahlreich rauchten die Kamine der Häuser im Dorf und in den meisten Fenstern brannte schon Licht. Als Einar wieder nach vorne schaute, da war sein Großvater schon einige Meter voraus, stand rückwärtsgewandt da und wartete lächelnd auf ihn. Bald hatte Einar ihn erreicht und sie strebten weiter dem Waldrand zu. „Großvater“, begann Einar eine Frage, die ihn offensichtlich stark beschäftigte, wie man am Klang seiner Stimme hören konnte. „Ja“, antwortete der Großvater mit seiner tiefen Stimme und schaute gütig lächelnd zu ihm herab, während sie weiter durch den Schnee stapften, der unter ihren Schneeschuhen knackte und knirschte. „Großvater, warum hast Du keine Angst vor den Trollen?“ „Hat deine Urgroßmutter dich wieder verrückt gemacht mit ihren Trollgeschichten?“ lachte der Großvater. Er selber glaubte nicht an Trolle, aber er wollte das Einar gegenüber so direkt nicht sagen, weil sein Sohn, Einars Vater, ihn darum gebeten hatte. Es würde die Kinder von zu abenteuerlichen Ausflügen in den Wald abhalten, wenn sie die Trolle fürchteten, hatten Einars Eltern argumentiert, und diesen Standpunkt fand er eigentlich vernünftig und hat sich dem nicht verschlossen. Zudem glaubte Einars Mutter selber an Trolle, genau wie seine Frau und seine Mutter. Einar war für deren Geschichten besonders offen, mehr als seine fünf Brüder und fast noch mehr als seine vier Schwestern. Die Eltern von Einars Mutter lebten in der Hafenstadt Welling, die auch Provinzhauptstadt von Trollund ist, und sie glaubten auch nicht an Trolle, wie viele andere, die in den großen Städten Schneelands leben. Einars Mutter war erst nach der Hochzeit und ihrem Einzug ins Haus von Einars Großmutter und Urgroßmutter richtig Trollverrückt gemacht worden. „Ja, die Trolle“, begann er seine Antwort, dabei überlegend, wie er am diplomatischsten Antworten könne. „Ja, weißt Du, Einar, das ist nämlich so, dass die Trolle scheinbar gar kein Interesse an mir haben, oder sie können mich nicht wahrnehmen, oder es ist irgendetwas an mir, dass sie fernhält. Ich weiß nicht warum es so ist, aber um mich machen die Trolle einen großen Bogen und so habe ich noch nie eine Begegnung mit einem Troll gehabt.“ Einar schaute mit großen Augen unter seiner dicken Wollmütze hervor und blickte seinen Großvater ungläubig an. „Aber Toralf hat doch erzählt, dass ein Troll aufgetaucht sei, als er mit Dir und Urgroßvater im Tal war neulich.“ „Ja, dein Bruder Toralf, der hat wohl einen Troll gesehen, aber als er aufgeregt zu uns gerannt kam, da war der nicht mehr da, so dass dein Urgroßvater und ich ihn nicht zu sehen bekamen. Ich sag ja, in meine Nähe kommen sie nicht, warum auch immer.“ „Hmmm“, grummelte Einar und schaute dabei nachdenklich auf seine Schneeschuhe, die bei jedem Schritt tief in den Schnee einsackten. Schließlich hatten sie den Wald erreicht und durch dick mit schwerem Schnee beladenen Ästen und Zweigen tauchten sie ein in den dunklen Urwald, der vom weißen Schnee dezent ausgeleuchtet wurde. Einars Großvater stampfte vorwärts wie ein Eisbrecher durch Packeis und zog eine Schneise durch das schneebeladene Unterholz. Einmal fiel Einar eine dicke Ladung direkt auf Kopf und Schultern. Dann kamen sie an eine Stelle, an der mehrere junge Tannen standen. Eine dieser Tannen, die noch etwas kleiner war als die anderen, stand so ungünstig, dass sie kaum Chancen hatte viel größer zu werden. „Die nehmen wir“, sagte der Großvater und nahm die Axt aus seinem Rucksack. „Warum nehmen wir nicht die da, Großvater“, sagte Einar und deutete mit der rechten Hand auf eine etwas größere Tanne in der Nähe, wozu er extra seinen roten Wollfäustling auszog, damit sein Großvater auch ja seinen Zeigefinger sehen konnte. „Nein, Einar, diese dort wird einmal so groß und stark wie die großen alten hier um uns herum, die tasten wir nicht an. Aber die hier“, dabei deutete der Großvater mit der Axt auf die ausgesuchte Tanne, „die hat kaum Überlebenschancen, die können wir mit ruhigem Gewissen schlagen.“ „Aber neulich hast du mit Papa einen soooo großen Baum gefällt“, erwiderte Einar, wobei er sich auf seinen Schneeschuhen auf die Zehenspitzen stellte und angestrengt die Arme nach oben reckte, um die Größe so authentisch wie möglich zu demonstrieren. Sein Großvater musste schmunzeln. „Ja, der war schon sehr groß, aber er war auch krank und wäre irgendwann sowieso umgefallen.“ Bei diesen Worten machte Einar plötzlich ein trauriges Gesicht und fragte, „fallen Menschen auch um?“ „Ja, auch Menschen können umfallen, wenn sie krank sind“, antwortete der Großvater, während er die Tanne schlug. „Aber du und Urgroßvater oder Uroma und Oma, ihr alle fallt nicht um, nicht wahr, niemals“, rief Einar es heraus, und seine Stimme ließ keinen Zweifel daran, dass er nichts anderes akzeptierte. „Weißt Du, Einar, jeder Mensch muss irgendwann diese Welt verlassen, aber nur unsere Hülle, unser Körper vergeht, unsere Seelen leben ewig.“ „Ich will aber nicht, dass einer von Euch geht“, protestierte Einar. „Auch wenn ich mal gehen muss, meine Seele wird dann immer bei Euch sein. Aber ich habe noch lange nicht vor zu gehen, Einar“, antwortete der Großvater und kniff Einar ein Auge. „Wann weiß man, wann man gehen muss?“ wollte Einar wissen. „Wenn Gott einen ruft, dann ist es soweit. Wann das ist, das weiß niemand vorher“, antwortete der Großvater, während er die Axt wieder wegpackte und dann die Tanne band. „Aber Jesus hat es vorher gewusst“, meinte Einar. „Ja, aber das ist was anderes, denn Jesus war der menschgeborene Sohn unseres Vaters im Himmel. Aber ich glaube, darüber reden wir zu Ostern weiter, wie ? Denn wir stehen kurz vor der Weihenacht und da wollen wir doch die Geburt unseres Herrn Jesu feiern und nicht über seinen Leidensweg sprechen.“ Als der Großvater die Tanne geschultert hatte, machten sie sich auf den Rückweg und als sie aus dem Wald traten, da merkten sie erst, dass es mittlerweile schon dunkel geworden war; nur der Schnee tauchte die Landschaft in ein dezent, leicht bläulich wirkendes, schwaches Licht. Am Himmel funkelten Millionen von Sternen und einzig die Schritte der beiden durchbrachen die erhabene Stille. Dann meldete sich Einar: „Darf ich meine Fackel anzünden, Großvater?“ „Klar, ich hab’s dir ja versprochen. Dann pack sie mal aus und ich zünde sie dir an“, antwortete der Großvater grinsend, blieb stehen und setzte die Tanne ab. Einar zog seine Fäustlinge aus und holte eifrig eine Pechfackel aus seinem Rucksack hervor, die er dem Großvater reichte, der sie dann auch anzündete. Als der Großvater Einar die lodernde Fackel zurückreichte, leuchteten dessen Augen vor faszinierter Begeisterung. „Aber halte sie schön schräg von dir weg“, mahnte der Großvater, woraufhin Einar sofort das Halten der Fackel korrigierte. Als sie sich wieder in Bewegung setzten, stapfte Einar stolz mit der Fackel neben seinem Großvater her, so als würde dieser ohne seine Fackel nichts erkennen können. Darauf hatte sich Einar ganz besonders gefreut und seine Augen sprühten vor Freude. Würde jetzt ein Troll daherkommen, dem würde er es schon ordentlich geben mit seiner Fackel, dachte er bei sich, achtete aber immer darauf, ja nah beim Großvater zu bleiben, denn das Licht der Fackel ließ die Umgebung nun umso dunkler und unheimlicher erscheinen. Als in der Ferne die Umrisse des Dorfes am Horizont zu erkennen waren, fiel Einar plötzlich die Frage wieder ein, die er dem Großvater unbedingt stellen wollte. „Großvater, du weißt doch, ich war doch neulich mit Mutter und Urgroßvater in Welling.“ „Ja, ihr habt dort eingekauft und wart bei den Großeltern dort.“ „Ja, und als wir am Hafen spazieren gegangen sind, da lernte ich einen Jungen kennen, der gehörte zu einem Schiff, das aus Deutschland kam; Armin hieß der.“ „So“, antwortete der Großvater in tiefem Tonfall, und fügte hinzu, „das ist aber sehr, sehr selten, dass sich ein Schiff aus der übrigen Welt zu uns verirrt.“ „Ja, die hatten Probleme mit dem Schiff, und dann sahen sie den Leuchtturm und kamen so nach Welling“, erzählte Einar weiter. „Und was war nun mit diesem Armin?“ fragte der Großvater, während er genüsslich an seiner Pfeife sog. „Ja, genau, der erzählte mir, dass dort, in Deutschland, der Weihnachtsmann kommt und zu Weihnachten den Kindern Geschenke bringt, alles was sie sich wünschen. Und was die dort alles haben, Dinge, die wir hier gar nicht kennen. Er sagte, dass er jedes Jahr neue tolle Sachen zu Weihnachten geschenkt bekommt und der Weihnachtsmann der Größte sei. Er sagte, Weihnachten sei das Fest des Weihnachtsmannes und hat mich ausgelacht, weil ich den Weihnachtsmann nicht kenne. Großvater, warum kommt der Weihnachtsmann nicht nach Schneeland?“ „Na, da hat dieser Armin aus Deutschland dir ja einiges aufgetischt. Mein lieber Einar, ich weiß nicht wer oder was dieser Weihnachtsmann ist, von dem ich auch schon mal hörte, aber was ich weiß, das ist, dass das Weihenachtfest nicht das Fest dieses sonderbaren Herrn ist, sondern das Fest zu Ehren der Geburt des Heilands Jesus Christus. Wie gesagt, auch ich hörte schon von diesem rätselhaften Weihnachtsmann, aber ich denke, dass dieser Weihnachtsmann nur eine Aufgabe hat, nämlich die Konsumsucht der Menschen zu wecken.“ „Was ist Konsumsucht?“ wollte Einar wissen. „Das ist, wenn Menschen mehr kaufen als sie brauchen und auch Dinge kaufen, die man eigentlich gar nicht braucht, also überflüssiger Schnickschnack“, antwortete der Großvater. „Aber der Weihnachtsmann bringt den Kindern viele Geschenke und Dinge...“, Einar versuchte sich zu erinnern, was er von dem Jungen Namens Armin erzählt bekommen hatte, „so Sachen, wie Computer und Videospiele und DVD’s und...“ „Langsam, langsam“, unterbrach ihn der Großvater, „weißt du denn, was das alles ist?“ „Ja, er hat mir ja alles erklärt“, antwortete Einar. „Woher kann er überhaupt nordisch sprechen?“ wollte der Großvater wissen. „Er spricht auch Dänisch, weil seine Mutter aus Dänemark kommt, darum konnten wir uns verstehen“, erklärte Einar. „Ach so, ja dann. Die Sprachen in den skandinavischen Ländern sind ja alle aus der nordischen Sprache hervorgegangen, so wie wir sie heute noch sprechen. Und seine Mutter kommt also aus Dänemark, aus der Heimat unserer Ahnen, dann ist dieser Armin ja ein halber Wikinger“, lachte der Großvater. „Aber um einmal auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen; hast du je zu den Weihenächten Grund gehabt unzufrieden oder unglücklich zu sein? Hast du dich nicht immer gefreut über die Dinge, die ich, deine Oma und deine Urgroßeltern für euch basteln?“ Einar blieb abrupt stehen. „Ja, es ist einfach wunderschön, jedes Jahr, und eure Basteleien sind einfach die besten.“ „Na, wo ist denn dann dein Problem, mein Kleiner?“ frug ihn der Großvater, dabei weitergehend. Einar überlegte und setzte sich dann auch wieder in Bewegung. Die Flamme seiner Fackel fauchte und summte bei seinen heftigen Bewegungen. „Übermorgen fahren ich und deine Großmutter nach der Hauptstadt Kristallen, würdest du gerne mit uns kommen?“ fragte der Großvater, sich der Antwort schon gewiss. „Iiiich,... mit nach Kristallen?“ Einars blaue Augen wurden ganz groß und leuchteten im Schein der Fackel, die er vor Begeisterung fast fallen ließ. „Oooh jaaa, das wäre toll.“ „Na, dann wollen wir gleich mal mit deinen Eltern sprechen und sie davon überzeugen, dass wir deine Begleitung unbedingt brauchen“, sagte der Großvater, steckte seine Pfeife in den Mund und hielt Einar seine große Hand hin, die dieser freudig ergriff. So stapften sie den Rest des Weges durch die spätabendliche Winterlandschaft dem Dorf entgegen und Einar brachte kein Wort mehr heraus, so sehr war er damit beschäftigt, sich in seiner Fantasie schon auszumalen, wie der Besuch in dieser großen Stadt Kristallen aussehen würde. Dann hatten sie das Dorf erreicht und während sie die schneebedeckte Dorfstraße entlang gingen, fing es wieder an dickste Flocken zu schneien. Plötzlich blieb der Großvater stehen, blickte Einar geheimnisvoll an und hielt seinen rechten Zeigefinger vor den Mund. „Was ist, Großvater“, wollte Einar wissen. „Psssst“, machte dieser und fragte ihn, „hörst du was ?“ Einar lauschte angestrengt und kniff immer wieder die Augen zu, weil die dicken Schneeflocken ihm mitten ins Gesicht segelten. „Gar nichts, ich höre gar nichts, Großvater; es ist total still.“ „Hörst du nicht das rascheln, ein ganz leises Rascheln?“ flüsterte der Großvater. Wieder lauschte Einar und plötzlich wurden seine Augen groß. Ebenfalls flüsternd, antwortete er, „ja, ganz, ganz leise, überall um uns herum“, und wischte sich mit der im Wollfäustling steckenden rechten Hand die Schneeflocken aus dem Gesicht. „Als ich so alt war wie du, da hat mich das schon fasziniert, wenn die Schneeflocken die Stille durchbrachen, wenn sie zu Boden fielen. Und dieser Hauch eines Raschelns fasziniert mich auch heute noch.“ „Ja, du hast Recht, Großvater, es ist so schön“, antwortete Einar überzeugt und sein Großvater musste schmunzeln, weil seinem Enkel eine Rotzfahne die Nase herunter lief. Er holte sein Taschentuch heraus und wischte sie Einar weg. Dann nahm er ihn wieder bei der Hand und sie gingen weiter, zum anderen Ende des Dorfes, wo ihr Haus stand. Als sie zu Hause eintrafen, da war die Stube wohlig geheizt; im Kamin prasselte das Feuer und der Tisch war schon gedeckt. „Mama, draußen gibt’s wieder Monsterflocken, und sie rascheln“, rief Einar seiner Mutter entgegen, die gerade mit einer Terrine frisch gekochter Zapfencremesuppe in die Stube kam. „Sooo, na dann haben wir ja morgen wieder viel Schnee zu schaufeln“, antwortete die Mutter und stellte die Terrine auf den Tisch. Doch für Einar waren die Monsterflocken fast schon wieder vergessen, denn er roch die Zapfencremesuppe, und die aß er für sein Leben gern. Er wusste nicht, wie seine Mutter sie zubereitete, das war ihr Geheimnis; er wusste nur, dass sie die Pinienkerne in einer bestimmten Weise röstete, bevor sie sie mahlte, und das gab der Suppe ihr unverwechselbares Aroma. Wenn dieser Duft im Hause war, dann wusste man, dass ein Feiertag bevor stand, denn Einars Mutter kochte diese Suppe nur unmittelbar vor hohen Feiertagen, sozusagen als mentale Einstimmung. „Hmmmm, Zapfencremesuppe“, sagte der Großvater, während er sich die Stiefel und den Mantel auszog, und fügte hinzu, „bei dir riecht sie genauso gut, wie wenn deine Schwiegermutter sie kocht“, und schaute grinsend zwischen seiner Schwiegertochter und seiner Frau hin und her. „Danke, Vater“, antwortete Einars Mutter, und fügte hinzu, „aber dein Sohn kann sie auch sehr gut. Das weiß ich, weil er mir eine kochte, als er um meine Hand anhielt.“ Einars Vater wurde rot. „Das wundert mich nicht, denn er hat seiner Mutter immer beim Kochen und Backen zugeschaut und wollte immer wieder helfen“, sagte der Großvater grinsend. „Ja, und wie oft hat Deine Frau ihn aus der Küche gescheucht, wenn er überhaupt nicht mehr rausgehen wollte“, lachte der Urgroßvater. Einars Mutter strich ihrem erröteten Mann zärtlich über sein Haar und küsste ihn liebevoll auf die Wange. „Mich hat das damals sehr beeindruckt und es hat keine unbedeutende Rolle bei meiner Entscheidung gespielt, ihn zu heiraten. Ich habe einen Mann geheiratet, der mich auf Händen trägt und seinen Kindern der beste Vater ist, den man sich wünschen kann.“ „Du machst es mir aber auch leicht“, sagte Einars Vater, „wie könnte man eine so wundervolle Frau nicht auf Händen tragen.“ „Ach ja“, jauchzte die Urgroßmutter, „ich habe damals kein Essen gekocht bekommen, als euer Großvater um meine Hand anhielt.“ Dabei schaute sie schelmisch grinsend zu ihrem Mann hinüber. Doch der Urgroßvater tat erst so, als hätte er es gar nicht mitbekommen, um dann plötzlich ein Papierknäuel zu ihr rüber zu werfen und ihr grinsend die Zunge rauszustrecken. „Dafür habe ich dir den gewaltigsten Schneemann gebaut, den die Welt je gesehen hat“, erwiderte er dann. „Ja, das stimmt allerdings, er baute ihn vor dem Haus meiner Eltern, direkt unter dem Fenster meines Zimmers. Und als ich vom Fenster herab meinte, dass der doch so allein da stünde, da baute er heimlich, des Nachts, noch eine passende Schneefrau dazu; als ich am andern Morgen aus dem Fenster schaute, da staunte ich nicht schlecht.“ Einars Bruder Toralf rief: „Den größten Schneemann der Welt bauen, oh ja, das machen wir auch.“ „Und eine Schneefrau“, protestierte Einars Schwester Sigrun. „Besser noch, ein Schneekönig und eine Schneekönigin“, meinte die zweitälteste von Einars Schwestern, Kristanna. Und Einars jüngste Schwester, die kleine Sieglinde, meinte mit entschlossenem Tonfall, „aber nur mit Krone.“ „Gleich morgen wollen wir anfangen, und Urgroßvater hat das Kommando“, rief Einars ältester Bruder Siegfried. Nun schauten die Augenpaare aller Kinder erwartungsvoll auf den Urgroßvater, der zunächst so tat, als würde er es gar nicht wahrnehmen, um dann plötzlich laut auszurufen: „Ganze Baumannschaft Essen fassen und stärken für morgen. Und das mir jeder von euch früh ins Bett geht, damit ihr alle Fit seid, für das große Werk.“ Die Kinder jubelten und sprangen dem Urgroßvater um den Hals, dass der sich kaum retten konnte. „Und du, Einar, du bist so still; freust du dich denn gar nicht?“ fragte sein Vater. „Doch Papa, ich freue mich, wirklich, aber...“ „Aber was?“ fragte sein Vater. „Ich denke an Montag“, sagte Einar. „Und was ist Montag“, hakte sein Vater nach. „Da wird Einar mich und Deine Mutter nach Kristallen begleiten, Sven, wenn Du und Sontje es erlauben.“ „Aber wir fahren doch nächstes Jahr, im Dezember, sowieso mit den Kindern nach Kristallen“, wandte Einars Mutter ein. „Ja, Sontje, ich weiß“, antwortete der Großvater, „aber ich hatte vorhin im Wald ein Gespräch unter Männern, mit Einar, und da stellte sich heraus, dass wir Einars Begleitung brauchen.“ Die Großmutter schaute verdutzt zu Einars Mutter, zog die Schultern hoch, und machte einen fragenden Gesichtsausdruck. Der Großvater und Einar schauten sich verschwörerisch an, und der Großvater kniff Einar ein Auge, was Einar erwiderte. „Du willst mit ihm in die Erlöserkathedrale von Kristallen, hab ich Recht?“ flüsterte Einars Vater dem Großvater zu, der vielsagend grinste. „Ich weiß noch, wie Großvater mich damals mit dorthin nahm. Und heute bist du der Großvater, Einars Großvater. Also, was mich anbelangt; wenn Einar gerne mit will, dann habe ich nichts dagegen.“ „Ach so, es geht um die Krippe in der Kathedrale; die Geschichte von der du mir erzählt hast?“ flüsterte Einars Mutter zu ihrem Mann gewandt, der nur lächelnd nickte. „Nein, ich habe natürlich auch nichts dagegen“, sagte sie, und fügte hinzu, „und dir würde ich bedenkenlos alle meine Kinder anvertrauen, Schwiegerpapa.“ Der Großvater errötete leicht, schaute verschämt und kraulte seinen Bart, der nicht so lang war, wie der vom Urgroßvater, aber dafür üppiger. „So, und jetzt wird gegessen“, sagte Einars Mutter, als die Großmutter und die Urgroßmutter mit dem frisch gebackenen Speckbrot aus der Küche kamen. Und so, nachdem das Tischgebet gesprochen war, schlugen sich alle den Bauch voll, mit der leckeren Zapfencremesuppe und dem knusprigen Speckbrot. Später, als der Tisch abgeräumt, das Geschirr abgewaschen war und während das Feuer im Kamin loderte und knackte, vor dem der Hund sich behaglich in seine Decke kuschelte, stopfte der Urgroßvater seine Langpfeife und schaute zwischen dem großen, alten Märchenbuch auf seinem Schoß und den vielen Augenpaaren, die erwartungsvoll auf ihn gerichtet waren, auf und ab. Die Kinder hockten auf Kissen vor ihm auf dem Boden, während die Erwachsenen in den anderen Sesseln und auf dem Sofa saßen. Auf dem Tisch standen Becher, aus denen Dampf heißen Mets oder Kakaos aufstieg. Flackernd warf das Kaminfeuer muntere Lichtspiele auf die Wände und ließ die Brillengläser des Urgroßvaters geheimnisvoll aufblitzen. Dann zündete dieser seine Langpfeife an, drehte die Flamme der Petroleumlampe etwas höher und begann das Märchen vom armen Müllerssohn vorzulesen, der sich in die für ihn unerreichbare Tochter des Eiskönigs verliebte und erst einen Kampf mit einem Troll bestehen musste, um dann aber doch die Frau seiner Träume zu bekommen. Es war ein wunderschöner vorweihnachtlicher Winterabend und alle gingen danach glücklich und zufrieden zu Bett. Am nächsten Morgen trommelte der Urgroßvater ganz früh schon alle Kinder aus ihren Betten und machte sich mit ihnen daran, das riesige Schneekönigspaar zu bauen. Hei, was war das für ein Spaß, und so manche Meinungsverschiedenheit über die ein oder andere Vorgehensweise wurde vom Urgroßvater beigelegt oder durch eine Schneeballschlacht entschieden. Dabei erwischte so manche verirrte Schneekugel auch eine unbeteiligte Person, wie zum Beispiel die Großmutter oder den Vater, der dann aber mit noch größeren Schneebällen antwortete. Am Abend standen vor dem Haus gigantische Schneemänner, vielleicht nicht die größten der Welt, vielleicht nicht einmal die größten Schneelands oder Trollunds, aber auf jeden Fall die größten von Flocken. Die Baumannschaft aber, die Kinder, waren alle völlig erschöpft und vielen früh am Abend schon, eines nach dem anderen, in einen tiefen Schlaf. Dann dämmerte der Montag herauf, und der Großvater weckte früh schon Einar auf, der sich lange erstmal den Schlaf aus den Augen reiben musste. Doch plötzlich dachte er daran, was auf ihn wartete und er war sofort hellwach und machte sich geschwind fertig. Seine Mutter zog ihm die dicke Wollmütze weit über die Ohren und gab ihm einen zärtlichen Kuss auf die Nasenspitze, wobei sie liebevoll lächelte. „Sei schön lieb und höre auf Großvater und Großmutter“, sagte sie zu ihm. „Aber Mama, ich bin doch immer lieb“, antwortete Einar. „Naja, fast immer“, erwiderte die Mutter und grinste schelmisch dabei. „Na dann los“, meinte sie dann und gab ihm einen zärtlichen Klaps auf den Po. Als der Großvater Einar erblickte, mit seiner dicken Wollmütze und dem noch dickeren Schal, die sein Gesicht bis auf die Augen verbargen, da musste er wieder schmunzeln. „Ich habe den Schlitten schon angespannt“, sagte der Vater, und fügte hinzu, „Großmutter sitzt schon drin und wartet auf Euch.“ „Dann los“, sagte der Großvater und schob Einar vor sich her aus dem Haus. Draußen war es noch dunkel und es schneite wieder stark. In den Fenstern der anderen Häuser brannte noch kein Licht. In der Ferne heulte ein Wolf den vollen Mond an, der tief über dem Waldrand am Horizont stand. Und ehe Einar es sich versah, waren sie schon unterwegs nach Welling. Mitten durch den dicht verschneiten Tannenwald ging die Fahrt, und nur die Laternen am Schlitten spendeten etwas Licht, das wilde Bewegungen auf die Stämme der dicht an dicht stehenden Tannen projizierte. Hell klangen die Glöckchen am Rentiergeschirr, und so glitt der Schlitten ansonsten lautlos dahin, dem noch schwachen Morgenrot entgegen, das allmählich zwischen den Baumkronen voraus aufzuleuchten begann. Schließlich waren sie am Hauptbahnhof von Wellig angelangt und rasch ging's zum Bahnsteig. Der Vater begleitete sie zum Zug, dessen Lok immer wieder seitlich Dampf ausstieß. Schließlich saßen Einar und seine Großeltern im Abteil und die Lok nahm unter lautem Getöse und Ausstoßen von Rauch und Dampf langsam Fahrt auf. Der Vater winkte vom Bahnsteig und wurde immer kleiner. Einar winkte zurück, aus dem Abteilfenster und hörte erst auf, als der Zug aus Welling rausgefahren war und Einar seinen Vater nicht mehr sah. Im weiteren Verlauf der Fahrt konnte sich Einar kaum vom Fenster lösen; soviel gab es da draußen zu sehen. Was da alles an seinem Auge vorbeizog. Er erblickte tief verschneite Landschaften, die oft von weißem Dunst überlagert waren, von dem Einar nicht wusste, ob es Nebel oder etwas anderes war. Vielleicht war es auch etwas geheimnisvolleres, von dem sich keiner eine Vorstellung machen konnte, dachte Einar bei sich. Jeden Moment erwartete er eine Fee, einen Troll oder eine andere geheimnisvolle Gestalt aus dem Dunst heraustreten sehen zu können. Ab und zu sah er Rentiere, einmal auch einen Rentierschlitten, mit dem Menschen unterwegs waren. Dann wieder konnte er gar nichts sehen, weil ein extrem starkes Schneegestöber jede Sicht unmöglich machte. Außerdem fingen die Scheiben an von außen zu vereisen, wodurch sich das Sichtfeld zusätzlich einschränkte. Wenn der Zug in den Bahnhöfen der großen Städte hielt, dann öffnete Einar jedesmal das Fenster um dem Treiben auf dem Bahnsteig zuzusehen. Immer wieder löcherte er die Großeltern mit Fragen; Einar wollte schier alles wissen. Dann passierte der Zug schließlich die ersten Vororte Kristallens und Einar merkte, dass dies nun eine ganz andere Größenordnung war. Mit gemindertem Tempo fuhr der Zug durch die Vororte, die schon sehr imposant anzusehen waren. Gewaltige Wohnhäuser erhoben sich links und rechts der Strecke, eines schöner als das andere. Die Fassaden waren mit kunstvollsten Stuckarbeiten versehen, teilweise mit Figuren, die Engel oder andere Gestalten darstellten. Dann fuhren sie in den Hauptbahnhof von Kristallen ein. Einar stand mit offenem Mund am Abteilfenster und war geradezu erschlagen von der Größe dieses Bahnhofs. Als sie aus dem Bahnhofsgebäude heraustraten, bekam Einar seinen Mund überhaupt nicht mehr zu und seine Augen waren weit aufgerissen. So etwas schönes hatte er noch nie zuvor gesehen, wie diese Stadt. Welling war zwar auch sehr schön und auch groß, aber Kristallen sprengte alles, was Einar sich bisher hatte vorstellen können, sprengte alle Dimensionen. Als wären die Gebäude allein nicht schon schön genug, war alles so festlich geschmückt, als wäre es eine Stadt im Himmel. Ein Mann mit einer Drehorgel spielte feierliche Lieder und eine Gruppe Kinder sang im Chor dazu. Auf dem Bahnhofsvorplatz erhob sich ein gewaltiger Tannenbaum mit feierlichem Schmuck in seiner ganzen Pracht. Überall standen Schlitten, deren Kutscher auf Fahrgäste warteten; die wenigen Automobile Kristallens hatten bei den Schneemassen keine Chance und warteten in Garagen und Fuhrparks auf den Frühling. Der Großvater wechselte ein paar Worte mit einem der Schlittenkutscher und sagte dann: „Kommt, wir nehmen den hier.“ Wieder fuhren sie mit einem Schlitten, aber der hier war nun nicht nur größer, als der vom Vater, sondern die Fahrt ging jetzt auch durch eine ganz andere Umgebung. Waren es am frühen Morgen noch gewaltige Tannen, die sich schneebeladen beiderseits des Weges erhoben, so fuhren sie nun durch verschlängelte Gassen und Straßen, vorbei an großen, imposanten Gebäuden, deren Dächer ebenso schneebeladen waren wie die Baumkronen der Tannen im Wald. Schnee und Eiszapfen wetteiferten darin, die Figuren und Ornamente an den Fassaden der Gebäude zu verändern. Der Schlitten fuhr vorbei an dem gewaltigen Weltenbaum von Kristallen. Dieser Weltenbaum ist ein heidnisches Nationalheiligtum Schneelands und zugleich das älteste religiöse Objekt dort. Einar war überwältigt von der gewaltigen Größe dieser mächtigen Skulptur, an deren Fuß sich ein großer Festplatz befindet, der gerade nur notdürftig von Schnee freigemacht war. Mit offenem Mund bestaunte Einar den Weltenbaum, aus dem fahrenden Schlitten heraus. Einar wusste schon, was es mit dem Weltenbaum auf sich hat, das hatte ihm sein Urgroßvater mal erzählt, doch nun sah er ihn real vor sich und war irgendwie eigentümlich berührt davon. In unmittelbarer Nähe sah Einar den steinernen Tempel von Kristallen sich erheben, der sehr massig und schwer auf ihn wirkte und mit der Erde verwachsen zu sein schien, wie ein Felsmassiv. Vor dem Tempel erblickte er übergroße Statuen, die Wikingerkrieger zeigen, welche dort Wacht halten. Im Inneren des Tempels konnte er eine gigantische Statue sehen, die den Allvater Odin auf seinem Thron zeigt, mit den Raben Hugin und Munin auf den Lehnen des Thrones sitzend und den Wölfen Geri und Freki zu seinen Füßen, wie ihm der Großvater erklärte. „Das ist die heiligste Stätte der Heiden Schneelands“, sagte der Großvater zu Einar. „Das ist gewaltig“, sagte Einar, sichtlich beeindruckt. „Es gehört zu unseren Wurzeln, ist aber längst von unserer Gotterkenntnis überholt. Als Teil der kulturellen Wurzeln unseres Volkes achten und respektieren wir es, aber in religiöser Hinsicht spielt es keinerlei Rolle für uns Christen“, führte der Großvater aus. Einar wollte etwas fragen –er hatte so viele Fragen– doch zu viele neue Eindrücke stürzten auf ihn ein. Dann kamen sie am Thingpalast vorbei, in dem die Landesführung von Schneeland tagt. Im Vergleich zu den Gebäuden der Provinz- oder Gemeindethings, war dieser Thingpalast einfach riesig. Die Nationalfahne Schneelands, die ein weißes Schneekristall auf blauem Grund zeigt, wehte auf dem Dach des Gebäudes im Wind. Besonders angetan war Einar von den großen Figuren, die ringsum an der Fassade des erhabenen Gebäudes angebracht waren. Er meinte sogar einen Troll darunter ausmachen zu können, doch sein Großvater klärte ihn lachend darüber auf, dass dies einer der ersten Landesführer Schneelands war, ein wahrhaftiger Wikinger noch. Nachdem sie einen zugefrorenen Stadtteich passiert hatten, auf dem viele Leute, besonders Kinder, Schlittschuh liefen, kamen sie zu einer gewaltigen Kirche mit fünf Türmen, vier kleineren an den Ecken und einem größeren, der sich in der Mitte mächtig zum Himmel emporhob. Vor der Kirche breitete sich ein riesiger Weihnachtsmarkt aus, dessen Buden und Stände alle halb eingeschneit waren; nur der Weg, der sich zwischen den Buden hindurchschlängelte, war weitestgehend von Schnee freigeräumt worden. Der Christmarkt in Schneeland bleibt bis am Tag vor Heilig Abend geöffnet und wird dann erst nach den Weihenachtsfeiertagen wieder abgebaut. „Erlöserkathedrale und Christmarkt“, rief der Kutscher nach hinten und hielt den Schlitten an. Die Rentiere vor dem Schlitten schnaubten und stießen Dampf aus ihren Nüstern. Einar kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus; ein überwältigender Anblick folgte auf den anderen. Nachdem der Großvater den Schlittenkutscher bezahlt hatte, gingen sie über den herrlichen Christmarkt. Was waren das für feine Gerüche, die da durch die kalte Winterluft an Einars Nase drangen, der Duft von gebrannten Mandeln, von Lebkuchen, Spekulatius, heißem Met und Kakao, gebratenen Köstlichkeiten und viele andere Düfte dazu. Die Großmutter kaufte Einar eine heiße Vanille-Waffel mit Puderzucker. Während Einar die Waffel aß, beobachtete er die vielen Leute auf dem Christmarkt, mit ihren von der Kälte roten Nasen und Wangen. Viele hielten einen Becher in den Händen, aus dem heißer Dampf emporstieg. Großvater und Großmutter kauften an dem ein oder anderen Stand etwas und verstauten es in Stofftaschen. Endlich waren sie an der Kathedrale angelangt. Einar musste seinen Kopf ganz nach hinten in den Nacken werfen, um bis zur Spitze ihres Hauptturmes aufsehen zu können, die, so wie alle Dächer der Stadt, ebenfalls dick mit Schnee bedeckt war. „Das ist die Erlöserkathedrale, die wichtigste Kirche von ganz Schneeland.“ Ehrfürchtig lauschte Einar den erklärenden Worten seines Großvaters, während er versuchte, die ganze Erhabenheit und Imposanz dieses Bauwerkes mit seinen Blicken zu erfassen. „Das ist sie nicht nur, weil sie speziell dem Erlöser und Heiland Jesus Christus gewidmet ist, sondern auch, weil in ihr die Gebeine des Begründers der christlichen Kirche Schneelands beigesetzt sind.“ Ein Bediensteter der Kirche war gerade dabei, Eiszapfen abzuschlagen, die über dem Eingang vom Dach herabhingen. „Kommt“, sagte der Großvater, „lasst uns hineingehen.“ Als sie eintraten und, nachdem sie die Handschuhe aus- und die Mützen abgezogen hatten, sich mit Wasser aus dem Weihwasserbecken bekreuzigten, fing jemand auf der mächtigen Orgel an zu spielen und die Melodie einer alten schneeländischen Weihenachtsweise hallte dezent durch die riesige Kirche. Das Innere der Kathedrale war einfach und schlicht gehalten, nur hier und da war die ein oder andere Figur oder Stuckarbeit oder der ein oder andere Rahmen eines Bildes goldfarben bemalt. Als sie an einem Steinsarkophag vorbeikamen, sagte der Großvater: „Hier liegt der Begründer der christlichen Kirche von Schneeland, der heilige Gundolf von Kristallen. Er war ein guter Mensch, der dafür sorgte, dass die Christen Schneelands sich ausschließlich an Christus und dem Neuen Testament ausrichteten.“ „Ja, und auf ihn gehen auch einige der besten sozialen Einrichtungen zurück, die wir heute haben“, fügte die Großmutter hinzu. „Ihm haben wir es zu verdanken, dass uns solche schlimmen Bruderkämpfe erspart geblieben sind, wie sie in der übrigen Welt, besonders in Europa tobten, da er immer betonte, dass es nicht christlich ist, den Glauben mit dem Schwerte zu verbreiten und dass sich nicht auf Christus berufen kann, wer zum Schwert greift. Er hat ausschließlich das Neue Testament zur Grundlage des christlichen Glaubens in Schneeland erklärt und damit den Grundstein dafür gelegt, dass die Christen in Schneeland in Frieden und Eintracht mit den heidnischen Angehörigen ihres Volkes lebten und leben“, erklärte der Großvater. Sie gingen weiter und kamen in die Mitte der Kathedrale, wo der Hauptturm sich befand. Dort breitete sich, auf halbem Wege zum Altar, der Boden rund aus, auf dem eine Krippe aufgebaut war, mit Figuren in Lebensgröße. Diese Figuren waren mit echten Kleidern versehen und mit echtem Haupt- und Barthaar. Auch die Tiere —Ochs, Esel und die Schafe— waren mit echtem Fell, echter Wolle versehen. Das Christkind, das da auf dem Stroh in der Krippe lag, hatte einen Heiligenschein, der richtig leuchtete, als wäre irgendwie Feuer in ihm. Und auch der Stern, der über der Krippe hing, leuchtete hell. Die ganze Szenerie war dermaßen real, dass Einar meinte, jeden Moment müsste eine der Figuren etwas sagen. Vor allem aber ging etwas davon aus, das Einar tief im Innern berührte. „Das ist die älteste Krippe ganz Schneelands“, sagte der Großvater. „Älter als unsere Krippe, zu Hause?“ fragte Einar in bedächtigem Ton. „Viiieel, viel älter!“ antwortete der Großvater. Einar machte große erstaunte Augen und legte Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand an seine Unterlippe. „Das ist wirklich beeindruckend, nicht wahr?“ sagte eine Frau, die neben ihnen stand. „Man meint, jeden Augenblick würde sich eine der Figuren bewegen und etwas sagen.“ „Ja“, antwortete der Großvater, „wen dieser Anblick nicht berührt, der muss schon ziemlich gefühlskalt sein.“ „Man kann sich kaum von diesem wundervollen Anblick lösen“, sagte die Frau. „Sie sind nicht von hier, aus Kristallen, nicht wahr?“, fragte sie. „Nein, wir sind aus Flocken, einem Dorf in der Nähe der Hafenstadt Welling in Trollund“, antwortete der Großvater. „Von so weit kommen sie? Machen sie hier Urlaub?“ „Nein, meine Frau und ich wollten hier einige Dinge einkaufen, die es in Trollund nicht gibt. Außerdem haben wir unseren Enkel mitgenommen, um ihm einmal die Krippe hier zu zeigen. Wir fahren heute noch zurück nach Trollund. Wieso fragen sie?“ „Ich hörte ihren Dialekt und dachte mir, dass sie aus dem Norden kommen müssen.“ Die Frau schaute Einar lächelnd an und sagte, „Da hast du aber heute schon viel erlebt. Gefällt es dir hier?“ „Jaaa, sehr“, antwortete Einar enthusiastisch. „Dann wünsche ich ihnen noch einen schönen Aufenthalt hier und eine gute Heimfahrt“, sagte die Frau. „Vielen Dank“, sagten der Großvater und die Großmutter. „Danke“, sagte auch Einar. Einar ein Auge kneifend, ging die Frau zum Ausgang. „Das da, zeigt die Geburt unseres Heilands, wie er in kalter Nacht in einem Stall geboren wurde“, erklärte der Großvater mit leiser Stimme. „Darum geht es bei der Weihenacht; das feiern wir, die Geburt unseres Heilands. Wenn es zur Weihenacht nur noch um einen ominösen, Geschenke verteilenden Weihnachtsmann geht, dann verliert dieses Fest seinen eigentlichen Sinn, seine Wurzeln. Ich weiß nicht, wer oder was dieser Weihnachtsmann ist, aber ich meine, hier in Schneeland bedürfen wir seiner nicht, haben nie seiner bedurft. Was meinst Du, Einar? Bevor du dir eine eigene Meinung dazu bildest, wollte ich unbedingt, dass du das hier siehst.“ Einar drehte sich zu seinem Großvater um, strahlte ihn an und sagte: „Du bist mein Weihnachtsmann, Großvater!“ Die Großmutter musste schmunzeln und der Großvater nahm Einar lächelnd auf den Arm. „Zur Weihenacht sollen wir uns alle freuen, weil Christus geboren ist, der uns die Botschaft brachte, dass Gott uns liebt und der die Liebe unter den Menschen predigte. Die Weihenacht ist das Fest vom Christkind. Das Christkind kommt zu uns, nicht der Weihnachtsmann. Aber du bist ein Weihnachtsmann, Großvater, ein Weihnachtsmann, der mir das Christkind gezeigt hat.“ Einar umarmte und drückte seinen Großvater herzlich, dem die Augen feucht wurden. „Und die Weihnachtsfrau sagt, dass wir jetzt gehen müssen; die Zeit bleibt nicht stehen“, sagte die Großmutter lachend. Der Großvater setzte Einar wieder ab und er und die Großmutter nahmen ihn beide bei der Hand. Als sie die Kathedrale verließen, fing es draußen schon leicht zu dämmern an und es schneite stark. Außerdem stimmten die Glocken der Kathedrale gerade ihr Vollgeläut an. An den Straßen wurden die Gaslaternen angezündet, deren Licht eine anheimelnde Atmosphäre in den verschneiten Straßen verbreitete. Die Buden und Stände auf dem Christmarkt waren nun auch alle schon erleuchtet, von Kerzenschein und dem Licht von Petroleum- oder Öllampen. Alles wirkte nun noch viel festlicher als bei ihrer Ankunft. Sie aßen noch gemeinsam Bratwürste und die Großmutter kaufte für die Kinder noch jeweils eine Tüte gebrannte Mandeln; Einar bekam seine Tüte gleich. Dann nahmen sie einen Schlitten, zurück zum Hauptbahnhof. Wie anders diese riesige Stadt nun wirkte, in der voranschreitenden Dämmerung, dem Schneetreiben und dem Lichtzauber unzähliger Gaslaternen und erleuchteter Fenster und Schaufenster. Die Figuren und Ornamente, an den Fassaden der altehrwürdigen Gebäude, wirkten nun mystisch und noch Ehrfurcht gebietender. Am Hauptbahnhof half Einar eifrig mit, die vollen Stofftaschen, mit den Einkäufen der Großmutter und des Großvaters in den Zug zu tragen, dessen Lok Dampfte und zischte, als wäre sie ein Stier, der jeden Moment losgallopieren wollte. Endlich waren die Türen geschlossen und der Schaffner gab das Signal zum losfahren. Erst langsam und behäbig, dann mit immer mehr Kraft und Schwung, setzte sich der Zug in Bewegung. Innerhalb von Augenblicken war der ganze Bahnsteig mit Dampf und Rauch erfüllt, den die Lok kraftvoll ausstieß. Dann fuhr der Zug auch schon aus dem Bahnhofsgebäude heraus in die Dunkelheit, die nur vom dezenten Hell des Schnees und von den Lichtern der Straßenlaternen und der Gebäude unterbrochen wurde. Schließlich waren sie aus der Stadt heraus und draußen war nur noch absolute Dunkelheit des Himmels, der einen starken Kontrast bildete zu der Landschaft, deren weißes Winterkleid verhinderte, dass das Land völlig von der Dunkelheit verschluckt wurde. Am Himmel funkelten die Sterne und das Polarlicht zauberte ein fantastisches Schauspiel an den Horizont. Irgendwann übermannte Einar die Müdigkeit und er schlief ein. Sein Großvater bettete ihn auf die zwei leerstehenden Sitzbänke, gegenüber von ihm und der Großmutter, die gerade ihr Häkelzeug auspackte. Er nahm seinen dicken Wollschal und machte Einar ein Kissen daraus, das er ihm unter den Kopf legte. Dann setzte er sich neben seine Frau, holte seine Pfeife heraus und begann sie gemütlich zu stopfen. „Der Kleine hat viel zu verarbeiten“, sagte er zu seiner Frau und steckte sich die Pfeife an. „Ich gehe ein wenig auf den Gang, damit ich euch nicht das Abteil vollqualme“, sagte er, lächelte seiner Frau zu und ging raus. Einar schlief tief und fest und träumte von dem Erlebten. Er wachte erst auf, als es eisig kalt in sein Gesicht wehte und dicke Schneeflocken daran kitzelten. Langsam aufwachend bekam er mit, wie sein Großvater ihn zum Schlitten seines Vaters trug und dann, mit ihm auf dem Schoß, neben der Großmutter darauf Platz nahm. Er sah, aus halb geöffneten Augen, wie sein Vater vorne den Schlitten bestieg und dann die Rentiere antrieb. Durch den nächtlichen Wald ging die Fahrt dann von Welling, zurück zum heimatlichen Flocken. Als sie zu Hause ankamen, lag das ganze Dorf schon im Schlaf, nur in ihrem Hause schimmerte noch Licht aus den unteren Fenstern. Der Großvater legte den halb schlafenden Bub in die Arme seiner Mutter. „Mama, ich habe das Christkind gesehen“, sagte Einar mit halb geöffneten Augen. „Soo, na, dann kannst du jetzt sicher wundervoll schlafen und hast schöne Träume“, antwortete die Mutter und lächelte ihren Sohn liebevoll an. Sie half ihm beim Umziehen, da er sichtlich Müde war. Dann brachte sie ihn in die Schlafstube, zu seinen Geschwistern, die alle schon schliefen. Sie gab ihm noch einen Kuss auf die Stirn und deckte ihn dann zu. „Mama, morgen ist Heiliger Abend und dann ist Weihenacht und das Christkind kommt“, flüsterte Einar. „Ja, und weil es morgen spät wird, musst du jetzt schlafen, Einar“, antwortete seine Mutter leise und streichelte ihm über die Haare . Und schon fielen Einar die Augen zu und er schlief tief und fest ein, mit der Erkenntnis darüber, warum der Weihnachtsmann nicht nach Schneeland kommt: Weil sie ihn hier gar nicht brauchen und weil die Weihenacht allein dem Christkind gehört. ENDE Verfasst 2009